A blog on museum-digital and the broader digitization of museum work.

Ein Beitrag von Lorenz Kienzle für das Heimatmuseum Müllrose

2014 entdeckte die Müllroser Museumsleiterin Romy Werner bei einer Inventur im Depot des Heimatmuseums Müllrose einen Karton mit Briefumschlägen sowie eine Plastiktüte vom Roten Kreuz mit drei Mappen. Der Inhalt der Briefumschläge waren Negative im Format 6×6 cm und Fotoschachteln mit 9×12 cm Negativen. In den Mappen befanden sich Fotoabzüge. Auf einem beigelegten Zettel stand „Fotografin Ursula Raschke“.

Der Nachlass wächst und wird digitalisiert

Ein dazu passender Eintrag im Eingangsbuch des Museums fehlte. Ihr Erbe und Neffe, Dr. Hartmut Felgendreher aus Booßen bei Frankfurt (Oder), konnte nach einiger Recherche ermittelt werden. Er hatte das Archiv 1996, kurz nach dem Tod der 1919 in Kliestow geborenen Fotografin, dem Museum übergeben. 2018 kam es zur Unterzeichnung eines Überlassungsvertrages. Bei dieser Gelegenheit übergab er dem Museum ein weiteres Konvolut an Negativen. Das Museum hat somit 16.800 Einzelnegative sowie 600 Positive aus dem Nachlass Ursula Raschkes in seinem Besitz.

Der ursprüngliche Negativbestand konnte mit Förderung vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg 2017 komplett von mir digitalisiert werden, auch die neu hinzugekommenen Negative sind inzwischen digitalisiert. Dabei wurden die sich lose in Briefumschlägen befindenden Negative in archivgerechte Negativhüllen überführt und können sich nun nicht mehr gegenseitig verkratzen. Die eher sporadische Beschriftung der rund 2300 Briefumschläge wurde in eine Exceldatei übertragen und kann somit den Digitalisaten zugeordnet werden.

Müllrose in den 1960er und 70er Jahren

Nach der ersten Sichtung der Negative 2014 war klar, dass hier ein Schatz zu heben ist. Ursula Raschke hat mehr als nur das Gewerbe einer ortsansässigen Porträtfotografin betrieben. Die Fotografien dokumentieren das Leben in Müllrose in den 60er und 70er Jahren in sehr sorgfältig inszenierten Porträts, die mitunter in stundenlangen Porträtsitzungen entstanden, wie uns die Beteiligten berichteten.

Viele dieser Arbeiten hat sie aus eigenem Antrieb gemacht. Menschen auch spontan auf der Straße angesprochen und ihnen die Fotos anschließend geschenkt. Sehr interessant ist auch eine Serie von Aufnahmen von Konsum-Märkten in Müllrose aus dem Jahr 1966. Im gleichen Jahr wurden einige dieser Geschäfte geschlossen und dafür ein großer „Neuer-Konsum“ geöffnet. Dieser Wandel in der Müllroser Geschäftswelt wurde von ihr genau dokumentiert und führt zu ganz neuen Fragestellungen für das Museum.

Ausstellung mit Hindernissen

Von Anfang an bewegte uns die Frage, ob und wie ihre Arbeiten in einer Ausstellung gezeigt werden können. Als Hürde standen immer die Persönlichkeitsrechte der Porträtierten im Raum, die einer Veröffentlichung zustimmen müssen. Eine erste Veröffentlichung 2019 im Projekt Brandenburger Fotografinnen und Fotografen beschränkte sich deshalb auf Aufnahmen ohne Menschen.

Aus Anlass des 100. Geburtstages von Ursula Raschke am 23.08.2019 wurde ich von Romy Werner 2018 gefragt, ob ich nicht eine Ausstellung kuratieren und vergrößern wolle, damit sie dann analog im Museum gezeigt werden könne. Geplante Baumaßnahmen im Museum stellten die Realisierung der Ausstellung in Frage. Auch 2020 konnte die Ausstellung wegen der inzwischen verschobenen Baumaßnahmen und wegen der Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie nicht im Museum stattfinden.

Im Stadtraum und Online präsent

Das Kulturamt des Landkreises Oder-Spree schlug daher die Verwendung der schon beantragten Mittel für eine virtuelle Ausstellung vor. Parallel dazu kam aus der Stadt Müllrose die Idee, Bilder auch im Stadtraum zu zeigen. Im April 2020 entschlossen wir uns, die Pläne umzusetzen und das dreiköpfige Ausstellungsteam, Romy Werner, Lutz Boltz und ich, begann mit der Arbeit.

Mit über 100 Personen sprachen wir, um Informationen über die uns meist unbekannten Abgebildeten zu erhalten und dann, um die Genehmigung zur Abbildung von den Porträtierten oder ihren Erben zu bekommen. Da in Müllrose jeder jeden kennt, konnten wir fast alle Personen ermitteln und fast alle haben der Veröffentlichung auch zugestimmt. Bei diesen Gesprächen haben wir viel über Müllroser Familienverhältnisse erfahren, aber auch Ursula Raschke in den Erzählungen über sie besser kennengelernt. Wichtige biografische Fakten aus ihrem Leben blieben hingegen weiter im Dunklen.

So ist die virtuelle Ausstellung „101 x Müllrose (1963 – 1984) Aus dem Archiv der Fotografin Ursula Raschke„, erstellt mit dem Ausstellungsmodul von museum-digitalmd/story„, mit 101 Fotos und die begehbare Ausstellung mit 32 Fotos für das Museum ein gelungner Abschluss der Digitalisierungsmaßnahmen, aber auch Auftakt und Anlass, vertieft stadtgeschichtliche und biografische Forschungen aufzunehmen.

Der Blogbeitrag ist Teil der Reihe „Brandenburgische Museen digital“ und wird redaktionell vom Museumsverband des Landes Brandenburg e.V. betreut. www.museen-brandenburg.de/aktivitaeten/projekte/digitalisierung/

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